Kinder, die mit zwei Jahren weniger als 50 Wörter aktiv benutzen oder keine Zweiwortsätze bilden können, gelten als “Late Talker”. Man spricht auch von Spätsprechern oder späten Sprechern.
Bis zu 50% dieser Spätsprecher haben diesen Rückstand aber mit zweieinhalb Jahren aufgeholt. Die Kinder werden dann als “Late Bloomer” (Spätblüher) bezeichnet. Es handelt sich dann um eine Sprachentwicklungsverzögerung. Später zeigen sich keine weiteren Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung.
Wird diese Verzögerung nicht ausgeglichen, so entsteht eine Sprachentwicklungsstörung. Es ist sehr wichtig, dies früh genug zu erkennen und durch einen Logopäden behandeln zu lassen, um die weitere Entwicklung (z.B. im Hinblick auf die Schule) nicht zu behindern.
Beim Erwerb der Sprache ist die Wechselbeziehung zwischen Kind und Umwelt besonders wichtig. Es gibt mehrere Faktoren, die dies negativ beeinflussen können und wodurch sich der Spracherwerb verzögern kann:
- Körperlich: Die Sinnesorgane Augen und Ohren sind von großer Bedeutung beim Spracherwerb. Ein Hörschaden etwa kann dazu führen, dass das Kind später beginnt zu sprechen. Auch eine gestörte Motorik von Lippen, Zunge, Gaumen oder Mimik kann eine Sprachverzögerung verursachen. Zu wenig Aktivität, fehlende Bewegung, unzureichender Schlaf und Lärm sind Umwelteinflüsse, die Kinder dabei negativ beeinflussen.
- Kognitiv: Wahrnehmung, sensorische Integration und Kreativität sind wichtige Faktoren beim Spracherwerb. Fehlen diese, kommt es zu Verzögerungen. Die geistige und sprachliche Entwicklung des Kindes kann durch die Umwelt beeinflusst werden. Fehlen Anregung, sprachliche Vorbilder, Spiele und Bücher, so hat dies negativen Einfluss auf das Kind. Manche Eltern unterfordern ihr Kind zusätzlich, wenn es ein Late Talker ist. Außerdem kann eine mehrsprachige Erziehung zu einer vorübergehenden Verzögerung im Spracherwerb führen.
- Sozial: Vertrauen, Sicherheit, Empathie, Sprechfreude und Kontaktfreude spielen für den Spracherwerb eine große Rolle. Fehlt das Urvertrauen, ist das Kind eher in sich gekehrt; hat es dann kein Interesse am Sprechen, so kann es sein, dass es ein Late Talker ist. Es ist also wichtig, dass die Bezugsperson Vertrauen, Zuwendung, Aufmerksamkeit und Sicherheit vermittelt. Ist das nicht der Fall und fehlen außerdem soziale Kontakte zu Geschwistern oder Freunden, hat dies negativen Einfluss auf die Entwicklung.
- Genetisch: Es besteht die Möglichkeit, dass die genetische Veranlagung zu einer Spracherwerbsverzögerung führt. Für diese Theorie könnte die Tatsache sprechen, dass drei mal so viele Jungen wie Mädchen zu den Late Talkern zählen.
Meistens steht nicht eine Ursache für sich allein. Mehrere Faktoren greifen ineinander und beeinflussen den Spracherwerb. Um eine ausgeprägte Sprachentwicklungsstörung zu umgehen, ist es wichtig, die Ursache so schnell wie möglich zu ermitteln.
Mittlerweile sind die meisten Mediziner und Logopäden der Meinung, dass Spätsprecher schnell behandelt werden sollen. Eine Frühintervention ist dem Abwarten vorzuziehen, damit sich die sprachlichen Fähigkeiten weiterentwickeln können. Das schafft günstige Voraussetzungen bei der geistigen Entwicklung des Kindes und hilft, Folgebeeinträchtigungen durch eine Sprachentwicklungsstörung zu minimieren oder zu verhindern.
Beim Logopäden werden zunächst die Eltern befragt, wie die Kommunikation mit dem Kind aussieht, welchen Umfang der Wortschatz aufweist und ob es in der Familie ähnliche Fälle gibt. Hilfreich ist ein Elternfragebogen, bei dem der Logopäde auch etwas über die Lebensumwelt und Gewohnheiten des Kindes erfährt. Beim Spielen beobachtet der Logopäde die sprachliche und kommunikative Kompetenz des Kindes. Er achtet auf die verwendeten Wörter, die Mimik und die Gestik.
Erst danach ist es möglich, festzustellen, ob eine Therapie nötig ist und wenn ja, in welchem Umfang. Der Therapieplan ist immer individuell auf das Kind zugeschnitten und enthält spielerische Übungen. Durch Spielen kann der Spracherwerb vorangetrieben werden. Das Kind entwickelt kommunikative Fähigkeiten und es wird am Wortschatz gearbeitet. Bei älteren Kindern kann auch an grammatischen Strukturen gearbeitet werden. Zum Einsatz kommen unter anderem die „Therapie nach Zollinger“ und das „Heidelberger Elterntraining“.
Wenn der Wortschatz des Kindes groß genug ist und das Kind altersgerechte Sätze sprechen kann, dann wird in der Regel eine halbjährige Behandlungspause eingelegt. Während dieser Pause schaffen es die meisten Kinder, den Wortschatz von selbst zu erweitern und noch mehr sprachliche Kompetenz zu erwerben. Danach erfolgt eine Kontrolle. Bei ausreichender Sprachfähigkeit ist die Therapie beendet, andernfalls werden die Übungen fortgesetzt. Außerdem sind dann eventuell neurologische, pädiatrische und audiologische Untersuchungen notwendig, um bisher ungeklärte Ursachen zu ermitteln.
Eltern können die Sprachentwicklung ihrer Kinder im Alltag fördern. Tägliche Situationen, wie Waschen, Anziehen, Einkaufen und Essen bieten sich an, um wiederkehrende Wörter und Sätze zu wiederholen.
Kinder brauchen aktiven Anreiz, um Sprache zu erwerben. Beim Fernsehen sind sie nur passiv, was kontraproduktiv ist. Besser ist es, wenn Eltern den Kindern Lieder vorsingen oder zusammen Bilderbücher lesen und angucken. Das Kind kann aktiv schauen, zeigen und Wörter ausprobieren und den Eltern ist es möglich, unmittelbar darauf einzugehen.
Besonders wichtig beim Sprechen ist der Blickkontakt. Wenn Eltern mit ihrem Kind sprechen, sollten sie stets auf Augenhöhe gehen. Das Kind erhält dadurch die volle Aufmerksamkeit und hat zudem die Möglichkeit, die Bewegungen von Mund und Zunge zu sehen.