Wenn bei Kindern das Erlernen der Schriftsprache gestört ist, spricht man von Legasthenie oder von einer Lese-Rechtschreib-Störung. Auch Erwachsene können nach einer Gehirnverletzung, z.B. einem Schlaganfall oder einem Unfall, davon betroffen sein. In diesem Fall liegt eine Verletzung der linken Gehirnhälfte und somit eine Aphasie vor.

Bei Legasthenie sind das Lesen, das Schreiben und die Rechtschreibung gestört. Sie äußert sich durch schwere und häufige Fehler beim Lesen, durch ein geringeres Lesetempo und durch Schreibfehler. Oft geht Legasthenie mit Sprach– und Sprechstörungen einher.

Zu unterscheiden ist Legasthenie von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche, kurz LRS. Dabei handelt es sich um einen vorübergehenden Zustand bei Schülern, der beispielsweise von einer Erkrankung oder einer seelischen Belastung herrühren kann.

Arten von Legasthenie

Wer von Legasthenie betroffen ist, kann nur sehr schlecht eine Beziehung dem gedruckten und gesprochenen Wort (Lesen) sowie zwischen dem gehörten und geschriebenen Wort (Schreiben) herstellen.

Je nachdem, welche Beeinträchtigung hauptsächlich vorliegt, werden die folgenden Störungen unterschieden, die meist in Kombination auftreten:

Dyslexie

  • Störung des Lesens
  • Bei einer angeborenen Lesestörung können Wörter nicht als Ganzes erfasst, Buchstaben nicht zusammengesetzt oder Wörter nicht in Laute zerlegt werden
  • Bei einer erworbenen Lesestörung ist das sogenannte Wortbild zwar vorhanden, aber es kann im Gehirn nicht darauf zugegriffen werden
  • Lineare Dyslexie: die Schwierigkeit, beim Lesen in einer Zeile zu bleiben oder den Anfang der nächsten Zeile im Text zu finden
  • oft synonym für Legasthenie

Dysgraphie

  • Störung des Schreibens
  • zusammen mit der Dyslexie ein Symptom für Legasthenie

Dysorthographie

  • Störung der Rechtschreibung
  • auch Orthographastenie genannt

Legasthenie sollte behandelt werden, wenn…

Der Zeitraum, in dem bei Kindern vorwiegend Legasthenie beobachtet wird, sind die ersten drei Schuljahre. Defizite, die auf Legasthenie hinweisen, treten beispielsweise beim Wiedererkennen von Wörtern, beim Lernen neuer Namen und beim Nennen eigentlich bekannter Wörter auf.

Sobald Sie bei Ihrem Kind eines oder mehrere dieser oder der unten genannten Symptome beim Lesen oder Schreiben bemerken, sollten Sie unbedingt einen Logopäden aufsuchen. Denn umso länger Legasthenie im Schulalter unbehandelt bleibt, umso stärker wirkt sie sich auf alle Schulleistungen und auch auf die Psyche Ihres Kindes aus.

Umgekehrt, enn Schulkinder unter Kopf- und Bauchschmerzen oder Übelkeit leiden, aber keine körperliche Ursache auszumachen ist, sollten Sie ebenfalls aufhorchen. Das könnte eventuell ein Hinweis auf eine bestehende Lese-Rechtschreib-Störung bzw. -schwäche sein.

Generell gilt, dass verschlechterte Schulleistungen nicht länger als drei Monate andauern sollten. Eine endgültige ärztliche Diagnose der Legasthenie kann schon gegen Ende des ersten Schuljahres vorgenommen werden.

Ursachen von Legasthenie

Legasthenie und die Lese-Rechtschreib-Schwäche sind Erkrankungen mit verschiedenen, aber zusammenwirkenden Ursachen.

  • Störung der Fähigkeit, Worte in Laute zu zerlegen (Störung der phonologischen Bewusstheit) und folglich der Fähigkeit, Laute Buchstaben zuzuordnen
  • Störung der visuellen Merkfähigkeit, sodass Wörter oder Buchstaben schlechter erkannt werden
  • Beeinträchtigung der feinmotorischen Koordination, sodass die korrekte Form der Buchstaben und Wörter nicht gelingt
  • Beeinträchtigung der visuo-motorischen Kontrolle, sodass Bewegungen für das Aufschreiben der richtigen Buchstaben an der richtigen Stelle nicht gelingen, weil Buchstabenform und Handbewegung nicht so gut abgestimmt werden können

Symptome der Legasthenie

Symptome beim Lesen und Schreiben

  • Verdrehung von Buchstaben: z.B. ‚p‘ anstatt ‚q‘ oder ‚b‘ statt ‚d‘
  • Vertauschung von Ober- und Unterlängen der Buchstaben: ‚p‘ anstatt ‚b‘, ‚d‘ anstatt ‚q‘
  • Vertauschung der Reihenfolge der Buchstaben oder der Wörter im Satz
  • Verwechslung ähnlich klingender Buchstaben/Wörter
  • Auslassung von Buchstaben/Wörtern
  • Verwechseln von kurzen und langen/doppelten Lauten (Dehnungsfehler): z.B. ‚den‘ vs. ‚denn‘
  • Fehler bei der Groß- und Kleinschreibung
  • Wahrnehmungsfehler: Verwechslung von z.B. ‚d‘ mit ‚t‘ oder ‚g‘ mit ‚k‘
  • Fehlerinkonstanz: ein und dasselbe Wort wird auch nach mehrjährigem Üben auf verschiedene Weisen falsch geschrieben

Treten einige dieser Symptome zu Beginn des Lesen- und Schreibenlernens auf, ist das kein Grund zur Sorge. Verbessern sich die Fehler aber auch nach längerer Übungszeit nicht, sollte ein Experte aufgesucht werden.

Weitere Symptome

  • Konzentrationsstörungen
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Weniger Selbstwertgefühl
  • Depressivität
  • Psychosomatische Beschwerden

So sieht die Behandlung bei Legasthenie aus

Nachdem der Logopäde durch verschiedene Tests eine Legasthenie diagnostiziert hat, kann die Behandlung je nach Ausprägung ein bis drei Jahre dauern.

Sehr wichtig ist dabei die Ganzheitlichkeit und Individualität der Therapie: Neben dem Lesen und Schreiben werden auch das Sehen und Hören, die Psychomotorik, die Körperwahrnehmung und die Aufmerksamkeit therapiert. Auch eventuell einhergehende Erkrankungen, wie Sprach- und Sprechstörungen, müssen zeitgleich behandelt werden. Mit Wahrnehmungsübungen werden das Gehör und die Sehfähigkeit trainiert.

Spezielle Legasthenieprogramme sind z.B. das ‚Marburger Rechtschreibtraining‘ oder das ‚Würzburger Trainingsprogramm‘. Bei letzterem handelt es sich um ein Programm zur Förderung von Kindern im Vorschulalter. Damit soll späteren Problemen vorgebeugt werden.

Besonders die Spieltherapie ist bei der Behandlung von Legasthenie nicht zu unterschätzen. Denn durch Spaß, Spontaneität und Kreativität werden das Lernen und das Gedächtnis gefördert. Auch das spielerische Lernen am Computer kommt bei Kindern gut an und kann besonders für schwer motivierbare Kinder erfolgversprechend sein.

Die Einbindung der Eltern in die Behandlung ist ebenfalls sehr wichtig für den Lernerfolg des Kindes. Wie stark das jeweils notwendig ist, variiert aber je nach Therapieansatz.

Wenn die Psyche des Kindes stark von den Auswirkungen der Legasthenie angegriffen ist und noch weitere Störungen (der Sprachentwicklung, der Motorik, der Aufmerksamkeit, des Sozialverhaltens) vorliegen, bietet sich in einigen Fällen eine teilstationäre oder stationäre Behandlung an.

Nach der Behandlung

Der Therapieffekt kann besonders nach Abschluss der Schule wieder abklingen, da dann die mühsam erlernten Fähigkeiten nicht mehr ausreichend gefordert werden.

Andererseits zeigen einige Studien, dass die Defizite auch längerfristig aufgeholt werden können. Leider ist die Prognose für die vollständige Heilung der Legasthenie im Allgemeinen dennoch nicht sehr positiv.

Früherkennung und Frühförderung sind daher bei dieser Erkrankung besonders wichtig.

Kann man der Legasthenie vorbeugen?

Schon im Kindergartenalter gibt es Anzeichen, ob Kinder später Probleme beim Lesen und Schreiben haben könnten. Konkret getestet wird dabei die phonologische Bewusstheit. Dazu gehört beispielsweise das Silbentrennen und –zählen, das Erkennen und Produzieren von Reimen oder das Erkennen der einzelnen Laute eines Wortes. Gemeint sind natürlich immer das Sprechen und das Hören, denn diese Fähigkeiten müssen richtig beherrscht werden, um korrekt Schreiben und Lesen lernen zu können.

Testen Sie zum Beispiel ob Ihr Kind weiß, wie oft man zu dem Wort ‚Limonade‘ klatschen kann oder fragen Sie es, wo man beim Wort ‚Kindergarten‘ klatscht. Sie können es auch animieren, zu einem bestimmten Wort, z.B. ‚Baum‘, ein Wort zu nennen, dass so ähnlich klingt (also sich darauf reimt, wie ‚Saum‘, ‚Raum‘) oder es fragen, ob zwei Worte wie ‚Haus‘ und ‚Maus‘ sich reimen. Wichtig ist auch, ob Ihr Kind die Laute in einem Wort, das Sie vorsprechen, einzeln erkennen kann. Bei ‚Eis‘ beispielsweise wären das ‚ei‘ und ‚s‘. Ein offizielles Programm zur Vorbeugung von Legasthenie ist z.B. das ‚Würzburger Trainingsprogramm‘.

Während der Schulzeit ist es für alle Kinder wichtig, dass in der Schule und auch Zuhause genug mit dem Kind geübt wird. Kleine Übungseinheiten an jedem Tag sind dabei effektiver als eine große pro Woche.